Dürer, Postkarten, Sprüche, Ideen
und der medizinische Wert
von Boshaftigkeit & Blasphemie


Würdigung eines Buchprojekts


"Ein Mensch, der Kinder und Hunde haßt,
kann nicht ganz schlecht sein"
W. C Fields


Was für ein schöner Satz. Fields war ein Könner. Wir müssen ihn richtig liebhaben, denn die wahren Liebenden sind ja nicht aufdringlich, also auf peinliche Weise wahrhaftig, sondern kleiden ihre Zuneigung in gerührte Flüche.
So sehe ich auch dieses Buchprojekt, mit dem mich Brigitte de Mas bekanntgemacht hat und dessen spiritus rector Christoph Feichtinger ich nun herzlich loben will.


II.
Jemand, der Albrecht Dürer, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, derart verarscht, muß diesen großen Neuerer wahrhaft verehren. Ich sehe in diesem Postkarten-Buch, in dem viele lichte Vektoren zum Kristall schießen - die Idee, der Witz, die vorhersehbare Kritik der Sauren - eine späte Lind reife Karrierestufe dieses großen Mannes, der uns die Kupferstiche "Ritter, Tod und Teufel" und "Melancolia" hinterließ, der den Humanismus der Reformation verkörperte und mit der großen Selbstverständlichkeit zwei schon alleine seltene Fähigkeiten potenzierte: er legte als Renaissancekünstler theoretische Fundamente und bot, quasi als Beleg, dazu noch die größten praktischen Werke.
Daß auch ich durch eine unerträgliche und inflationäre Falschverwendung seines Hasen, seines Rasenstücks und seiner betenden Hände (in Kupfer getrieben, aus Lindenholz geschnitzt, in Schulbüchern als Ausmalkoffer offeriert) vorübergehend zu einem praktizierenden Dürer-Hasser wurde, gibt meinem Beifall noch einen Kick, weil dieser einstige Ekel immer noch als kleines Echo vorhanden ist.
So bin ich imstande, dieses Postkartenbuch je nach Laune zu genießen. An guten Tagen als Verehrer Dürers, der sein Kunstwerk atemlos genießt und millimetergenau abrastert. An mürrischen Tagen freue ich mich, daß er in diesem Buch unter die Geisel von rotgedruckten Sprüchen geworfen wird, die ich ebenfalls je nach Tageslaune als hinreißend tief oder bescheuert ansehe.
So kommt eine Spannung auf.
Und wie wir Elektrotechniker sagen: ohne Spannung, ohne Plus und Minus, ohne diesen Fluß zwischen den entlegensten Polen gibt es kein Leben.
Ein gutes Buch, auch weil es die Gelegenheit gibt, ein paar Gedanken anzubringen, die man nach Belieben abreißen und nach ausdauerndem Lecken frankieren und aufgeben kann.


III. Zum Beispiel Kunst und Bösartigkeit.
Ich habe mir immer gewünscht, die modernen Maler wären so keck gewesen wie jene, die sie nicht verstanden, glaubten. Ich hätte das außerordentlich genossen. Denn ich sehe im kreativen Hinterslichtführen eine besondere schöpferische Leistung, die unbedingt gottgefällig ist, denn auch der Schöpfer hat uns streng geprüft, indem er wahllos das Gute und Schlechte zur Erde wart Die Rätsel, die er damit aufgab, haben uns bis heute nicht verlassen.
So halte ich es auch für wahrscheinlich, daß Gott die Frömmigkeit nicht höher stellt als die Blasphemie. Hätte ich ein unbekümmertes griechisches oder altrömisches Bild von den Göttern, könnte ich mir vorstellen, daß sie aus Angst vor Langeweile die Spötter und Aufrührer vor die Braven stellen. Sie hätten dieses Buch und den Feichtinger geliebt.
Ich war, wenn ich das in meiner Unerheblichkeit sagen darf, auf einem guten Weg, wirklich böse
zu sein. In diese Zeit fiel auch meine Dürer-Verachtung, endgültig genährt in einem Tiroler Herrschaftshaus durch die betenden Hände in Kupferblech neben einem Porträt des Tiroler Landeshauptmannes, das seine Art betendes Antlitz zeigte. Ich habe es Koschatzky, dem Hauptvater der Albertina, nie verziehen, daß mich seine großen Bücher veränderten. Diese ziehe ich zu Rate, wenn es um Grafik und Fotografie geht, und sie verschlechtern mich. Ich bin seither, nicht nur bei Dürer, zu einem herzlichen Menschen verkommen.
Man darf sagen: seit der Entdeckung dieser Enzyklopädien, die meine geschlossene Halbbildung pölzten, habe ich das wertvollste Erbgut meiner Heimat verloren, den Grant. Früher lebte ich in der kraftvollen Welt der Schopenhauersprüche. Der wichtigste lautete: "Glück ist die vorübergehende Abwesenheit von Unglück" Ah, wie glücklich war ich damit. Doch seit ich selbst Dürer aus angelesenen fachkundigen Gründen verehre, ist nun "Unglück ist die vorübergehende Abwesenheit von Glück" die Parole. Eine Katastrophe.
So schrieb ich fortan Vorworte zu Kunstbüchern und Projekten von Attersee, Frohner, Deutsch, Lechner und Korab, lauter Burschen, die es entsetzlich ehrlich meinen. Und der bislang letzte in dieser Reihe, der Ringel-Franz, wie ich ihn wegen seiner steirischen Herkunft nenne, hat erst vor kurzem ein Buch auf die Weit gebracht, wo man seine "78 Bilder für Maria" heraustrennen kann wenn man will - so wie man in diesem Buch die mit Sinnsprüchen überhöhten oder blasphemisch eingefrorenen Dürerbilder heraustrennen kann.
Ich halte dies für eine griechische-römische Vorsehung. Als sogenannter Herausgeber dieses Ringel-Trennbild- Buches habe ich die Welt der Guten zum letzten Mal betreten, um mit dem Dürer-Trennbild-Buch wieder in die noble Welt der Schlimmen einzutreten.
Ich bin sehr zufrieden mit diesem bösen, also liebevollen Werk, und je mehr sich darüber aufregen, desto höher dürfen wir es reihen.


Helmut A. Gansterer