Ausstellung von Prägedruckgraphiken
CHRISTOPH FEICHTINGER
Buchbinderei Fuchs, Saalfelden
Freitag, 13. Juni 1997
Die Herren Buchbindermeister Fuchs haben mich gebeten, der Wahrnehmung dieser hier versammelten Arbeiten wörtlich zu assistieren. Naturgemäss ist es nur beschränkt sinnvoll, über die Ergebnisse bildnerischer Bemühung selbst zu sprechen, wendet sich doch diese Art von Kommunikation direkt an die optische Erfahrungsbereitschaft des Betrachters. Da aberjedem von uns Abendländern die Sucht nach argumentativer Rationalität anerzogen ist, will ich einiges über den bildgeschichtlichen Hintergrund und die Entstehung der gezeigten Werke schildern, sowie skizzenhaft ikonographische Hinweise formulieren.
Vorausgeschickt sei, dass meine bildnerische Arbeit der vergangenen sechs Jahre charakterisiert ist durch gemusterte Gestaltung. Ich habe gefunden, dass anonyme gemusterte Hervorbringungen unserer zentraleuropäischen rezenten Kultur in eben der Weise zu berühren vermögen wie die von sogenannten primitiven, geographisch und, oft auch zeitlich zusammenhanglos entfernten Kulturen. Die Zick-ZackBandmusterung beispielsweise hat diese Eigenschaft, ob sie nun auf einem zentralafrikanischen Schild, einem Tongefässaus China, einer steinzeitlichen Stele, einem Textil des alten Peru oder einer Schuhsohle von Hunlanic ansichtig wird. Wesentlich dabei ist die archaische Kraft von Grundformen. Es ist, als ob die Gestalten von Kreis, Dreieck, Rechteck, Linie und deren Abwandlungen uns als Spezies Mensch eingeboren wären und daher ein transkulturelles Phänomen bildeten.
Die Wahrnehmungsbereitschaft für diese Grundstrukturen zu schüren, das sogenannte Primitive in unserer technisierten Zivilisation sichtbar zu machen, ist wesentlich Thema meiner jüngeren Arbeit. Reifenprofilabdrucke im Thermoplastik von Zebrastreifen waren Gegenstand einer Photoserie, Unikatdrucke von Schachtabdeckungen in vielen Hauptstädten Europas und zum Teil der USA waren Anlass für eine Publikation, die, natürlich bei Fuchs gebunden, 1996 ausgezeichnet wurde als zu den schönsten Büchern Österreichs gehörig. Folgten Arbeiten mit Malerwalzen, wie sie noch vor kurzem zum Mustern von Wänden in Gebrauch waren, ein Projekt mit Leitmalen des Strassenverkehrs und dergleichen mehr.
Soviel als Hintergrund zur hier gezeigten bildnerischen Arbeit mit vorgefundenen Prägeelementen einer Buchbinderei.

Es war vor gut einem Jahr, Herr Johann Fuchs führte mich kommentierend durch die weitläufige Produktionsstätte, als mich die Ansicht von Kniehebelpresse und zugeordnetem Prägeteilsortimentkasten wie Amor ins bildnerische Herz getroffen hat. Spontan überfiel mich die Lust, aus dem Formenschatz der Messingtelle Kunst zu schlagen, und mit geübtem Midas-Touch dem einen oder anderen Prägeteil die Weihe des Bildgegenstandes zu verleihen. - Was die Weihe betrifft: Man kann durchaus den Eindruck haben, dass Herr Johann Fuchs dieser Anmassung ironisch ministrierte, indem er die Blätter auf schwarzem Moiré goldgerahmt wie auf einem Katafalk präsentiert.
Es war zuvor die Rede von Grundfonnen und ihrer konstitutiv im Menschen begründeten Verbindlichkeit. Dieses Sehnen nach dem ursprünglichen Bild ist bei einem Teil der hier gezeigten Graphiken erfahrbar als ein Aspekt. Ein anderer ist das archetypische Bedürfnis, durch die ornamentale Gestaltung einer Bildfläche Ordnung zu erfinden, etwa in dem Sinn des Ausspruchs von Karl Kraus, dass gegen den Fluch des Gestaltenmüssens kein Kraut gewachsen ist.
Ein weiterer Aspekt ist der elementare Spieltrieb; zum Beispiel vermitteln vier vertikal angeordnete gotische Beistriche, gefolgt von einern gestaltgleichen kleineren gotischen Beistrich, die Lust an Iteration und Irritation (Wiederholung und Störung); ein anderes Bild vexiert mit der Fluktuation zwischen Zeichen, die etwas bedeuten und Formen, die sich selbst genügen, weil einerseits vier liegende Ovale als Formen an sich wahrnehmbar sind, andererseits aber auch als "viermal viel nichts" gelesen werden können; ein Bild mit gedichtartig angeordneten parallelen Linien lebt von der Anspielung auf diesen ausserbildlichen Bezug; wieder andere Bilder leben vom Zwinkern des Als-Ob und So-Wie, zum Beispiel nicht undeutlich die rot geprägte Gebetbuchschablone: quasi ein Leibesschnitt in weiblicher Brusthöhe; oder: zwei in ihrer Nützlichkeit nicht bestimmbare Formtelle ergeben einen Hauch Herz; krummstabartige Zierstangen versammeln sich zu einem imaginären Zierzaun; etc.
So wendet sich also der rasende Stillstand dieser handgeschöpften Bildwelt auf schwarzem Moiré einerseits an den psychischen Ort in Ihnen, der für die Ursprünglichkeit empfänglich ist, und andererseits lädt er ein zum Schmecken am Detail.
Nun endlich möchte ich den beiden Buchbindermeistern, den Herren Johann und Christian Fuchs, ohne deren sensible Anteilnahme und kunsthandwerkliche Hilfe diese Arbeiten nicht hätten entstehen können, danken; herzlich danken für ihren beispiellosen Einsatz bei vergangenen und laufenden Projekten, sowie für die gelungene Inszenierung dieser Setzkastenemanation.