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Gespräch
mit allen Worten
Zur malerischen Gemeinschaftsarbeit durch Christoph Feichtinger und Li
Yan Pin aus dem Jahr 1999
Wenn Sie malen, woran denken Sie dann?
Wenn ich male, existieren nur das Gemälde und ich.
Was machen Sie dann?
Ich male.
Nein, das tun Sie nicht. Sie sehen, wie das Gemälde entsteht.
Sie beobachten nur, alles andere geschieht von alleine.
Aus: Ich bin, Teil II. Gespräche mit Sri Nisargadatte
Maharaj. Context Verlag, Bielefeld 1997, S. 55
Es läßt sich sehr einfach sagen. Die erste Erfahrung des Daseins
ist Begegnung und diese Erfahrung ist für jedes fühlende Wesen
das tiefste innerste Verspüren. Durch die Verneinung eines gegen
Ende des zweiten Jahrtausends in der deutschen Sprache umgänglichen
Lehnwortes aus dem Englischen können wir es auch anders ausdrücken:
In Wirklichkeit ist der Mensch nicht »cool«. Im Grunde seines
Herzens ist er unendlich zart, unendlich bereit, unendlich offen und unendlich
horchend; und er ist dies aus einem einzigen Grund: weil er empfänglich
ist für sich selbst als sein Gegenüber.
Dieses Berührt-Sein im Spiegelbildlichen ist der Motor und die Sehnsucht
jeglicher Form von Ausdruck, unabhängig davon, unter welchem Namen
wir diese Form in uns auch erleben. Ob der Name des Lebensstromes, dem
wir uns ergeben, nun Arbeit, Sexualität, Schlaf, Essen, Krankheit,
Atmen, Geborenwerden, Sterben, Schmerz oder Lust heißt, ist in Wirklichkeit
unerheblich, denn all dies sind nur beschreibende Worte für den Ausdruck
des Einzigen, das sich überhaupt auszudrücken vermag.
Alles, was wir für die Ausrichtung unseres Gedankengebäudes
als »Kunst« bezeichnen, ist nichts anderes als das Symbol
des Inbegriffes jenes alles durchziehenden Gestaltungswillens, der wir
letztlich sind.
Wir sind es gewohnt einzuordnen, zu beschreiben, uns zurechtzufinden,
zu erkennen und zu wissen. Was wir »das Kunstwerk« nennen,
betrachten wir zwangsläufig in Verbindung mit »Künstlerpersönlichkeiten«,
was zutreffend ist, wenn auch in einem ganz anderen Sinn, als wir dies
gemeinhin annehmen.
Gewöhnlich neigen wir dazu, das Werkzeug mit dem Handwerker zu verwechseln
und diese Verwechslung haben wir zur Regel unserer Kunstbetrachtung erhoben
- so als sei der Name eines Koches die Gewährleistung für den
Geschmack der Speisen, die er zubereitet.
Ausstellungsplakate, Einladungen, Programme, Kataloge, Informationen und
Hüllen aller Art hängen das, wovon sie künden, wie von
unbestimmten Zwängen geleitet und regelmäßig am Namen
derer auf, die die Geburt eines Werkes in Wirklichkeit nicht verursachen,
sondern bezeugen. Künstler-Sein aber bedeutet tatsächlich nicht
zu schöpfen, sondern Zeuge zu sein für die Kraft, die hervorbringt.
Nun gibt es nachweisbar schon seit den frühen Jahren dieses Jahrhunderts
und unbelegt vermutlich auch schon seit der Spätzeit des vorigen
Jahrhunderts vor allem in der Malerei Strömungen, die dieses Zeuge-Sein
des Künstlers zum unmittelbaren Gegenstand seiner Arbeit erheben.
Zwei deutliche Beispiele dieser Ausrichtung sind der zeitgleich mit der
Psychoanalyse entstandene Ansatz der Automatischen Niederschrift in der
Malerei und die mittlerweile Tradition gewordene Gepflogenheit von Gemeinschaftsarbeiten
durch Künstler 'in der Moderne.
Die in Österreich lebenden Maler CHRISTOPH FEICHTINGER, Jahrgang
1947, und Li YAN PIN, 1958 in der chinesischen Provinz Sharixi geboren,
entschlossen sich 1999 zu einer Zusammenarbeit, die im Lichte beider Ansätze
steht. Sie trafen sich eine Woche lang zu klausurartigen Arbeitstagen
in Christoph Feichtingers Atelier nahe Saalfelden und begegneten sich
dort, zunehmend verschmelzend, in einer Serie von über 80 Arbeiten
auf Reispapier und Leinwand, die tiefstes Menschsein äußert.
Beide Künstler sind - wenn auch aus unterschiedlichen Hintergründen
- über den Weg schriftartiger Formabläufe in die Malerei gewachsen
und fanden deshalb unschwer, fast möchte man sagen - musikalisch
- zu einer sich vereinenden Schwingung ihrer Gesten. Zwei Metronomen gleich,
die sich, feiner und feiner gestimmt, in ihrem Takt einander angleichen,
entwickelten sie - einem sich steigernden Tanz ähnlich - eine Bildfolge,
die vor allem in ihren leisen Tönen durchaus als eine Spielart des
Eros gelesen werden kann, denn fließende Ströme müssen
ineinander ankommen und ihre Vernichtung finden in einem Größeren.
Es ist dies niemals ein zerstörerischer Akt. Es ist ein Aufkommen
von Freude und Erbauung, denn darin liegt das Geheimnis: Je mehr ich unmöglich
Anstrengung geschieht- daß wir »Eins und doppelt« (will
heißen: immer bezogen) sind, wie es in GOETHEs berühmtem Gedicht
Ginkgo biloba im West-Östlichen Diwan heißt; daß wir
von diesem Planeten, der uns hält, wie von endlichem Raum nach außen
in unendlichen Raum hängen; daß wir, was immer wir auch lieben,
zuerst die Geliebten sind und daß mit jeder Frage gleichzeitig die
Antwort erscheint. Wo immer zwei Ströme ineinanderfließen,
zeigt sich ihre Kraft als eine und dieser Vorgang ist der einzige, aus
dem wieder zwei Ströme entstehen können.
Ein Gespräch muß nicht erzwungen werden. Wir brauchen es lediglich
nicht zu verhindern. Diese Botschaft ist, was auch in den gemeinsamen
Bildern und gerade in den gemeinsamen Bildern durch Christoph Feichtinger
und Li Yan Pin anklingt. Niemand braucht Angst zu haben, denn wir können
die uns innewohnende Blüte nicht vergessen. Sie erinnert an sich
schon in der kleinsten Geste und die kleinste Geste ist die größte.
Die große Geste geschieht immer. Es gibt kein Scheitern.
Roman Baumgartner
Anmerkungen
zur Tuschemalerei
In der chinesischen Malerei gibt es den Begriff 'xieyi', welcher das kalligraphische
Darstellen der Wesenheit eines Objektes zum Inhalt hat. Außer der
kalligraphischen Erfassung der Seele eines Dinges bedeutet dieses Wort
auch das Begreifen der Natur und der kosmischen Kräfte durch den
Maler.
Das kalligraphische Schreiben eines Bildes, die Kunst, mit Pinsel und
Tusche jene Prinzipien sichtbar zu machen, die den Mikro- und Makrokosmos
bestimmen, wurde im Laufe der Jahrhunderte zum eigentlichen Anliegen,
so daß Malerei und Kalligraphie so etwas wie angewandte Philosophie
geworden sind. Der inspiriert geführte Strich hat sich zu einem Medium
für Botschaften entwickelt, die über das hinausgehen, was sich
in Abbild oder Worten ausdrücken läßt. Seine Funktion,
als Umrißlinie eines Gegenstandes zu dienen, wie wir das in der
abendländischen Bildnerei kennen, tritt demgegenüber in den
Hintergrund.
Wesentlicher als das Objekt selbst ist also das, was nicht gesehen oder
beschrieben werden kann. Beeindruckend dabei ist, daß die Gestaltung
eines Bildes bzw. einer Kalligraphie nicht in Beliebigkeit vergeht, sondern
im Gegenteil vom kleinsten Punkt bis zum gesamten Aufbau klaren Gesetzen
unterworfen ist.
Wenn man die Leichtigkeit chinesischer Bilder vor Augen hat und zugleich
hört, wie unverrückbar jeder Strich auf einem Bild bestimmten
Kriterien genügen muß, erscheint das widersinnig. 'Die Gesetze
machen frei', lautet ein chinesisches Diktum. Eine abendländische
Entsprechung kennen wir in der klassischen Musik: Auch hier ist der Interpret
durch exakt notierte Vorgaben gebunden, und trotzdem besteht die Kunst
der Interpretation gerade darin, nicht zu spielen, was geschrieben ist,
wie Pablo Casals eindrucksvoll formulierte.
Das heißt also, daß man - anders als in der westlichen Malerei
- in der chinesischen Kunst einen 'Kodex' zur Verfügung hat, mit
Hilfe dessen man über die Qualität eines Bildes urteilen und
mittels dessen man erkennen kann, wie weit der Maler in seinem Verständnis
des Universums gekommen ist - was natürlich auch heißt: wie
weit der Betrachter selbst gekommen ist.
Die höchste Stufe der Erkenntnis ist zweifelsfrei erreicht, wenn
der ZenMeister einen einzigen, kreisrunden Strich zu Papier bringt und
darin alles, was er weiß, ausdrückt. Er zeigt sich 'nackt',
keine Farbe, kein Beiwerk, nichts, das vom reinen Strich ablenkt. Er lädt
ein zum Betrachten, zum Reflektieren, stellt seine Sichtweise, sein Verständnis
des Universums vor und der Betrachter ist aufgerufen zu prüfen, was
er erkennen kann, aber auch, wo er selbst steht.
Xie He, einer der bedeutendsten chinesischen Kunsttheoretiker, legte im
4. Jahrhundert sechs Kriterien für ein gutes Bild fest. Es sei hier
nur das erste vorgestellt und anhand dessen ein Zugang zur chinesischen
Kunst angedeutet. Diese erste Forderung heißt: 'qi yun sheng dong'.
'ql' ist allgemein betrachtet der Lebensodem, die Kraft, die lebende Materie
von toter unterscheidet. 'qi' ist aber auch als yin und yang zu verstehen,
als die alles - vom Staubkorn bis zum Universum - durchdringenden Gegensätze.
'yun' beschreibt Reim, Gleichklang und Harmonie, ' sheng' Leben, und 'dong'
bedeutet Bewegung. Das erste Kriterium des Xie He lautet also: Setze die
beiden Gegensätze in Harmonie und erzeuge dadurch Leben.
Womit auch schon die magische Bedeutung der Malerei festgestellt wird.
Magie, Religion und Philosophie sind die wesentlichen Komponenten des
gedanklichen Überbaus in der chinesischen Malerei. Natürlich
waren viele der bedeutenden chinesischen Maler Taoisten. Abweichend vom
Konfuzianismus und anderen Lehren ist beim Taoismus der Begriff 'ziran'
(Natur, natürlich) von zentraler Bedeutung. Der Maler malt natürlich
(nicht im Sinne von genauem Abbilden), also den Gesetzen der Natur entsprechend,
sich einfügend in die Abläufe der Natur, hörend auf die
Gesetze des Kosmos. Als solcher ist er Teil der Natur und zeugt wie diese
Leben: Seine Bilder sind lebendig.
Aus dieser einen Forderung des Xie He wurden unzählige weitere abgeleitet,
wie zum Beispiel, daß dem, was nicht dargestellt wurde, größere
Bedeutung geschenkt werden soll als dem, was zu sehen ist. Hat man sich
aber in dieser Sichtweise geübt, tun sich neue Welten auf.
Ein Strich ist dann ein guter Strich, wenn man seine Kraft spüren
kann, man muß fühlen, wie souverän, wie gewagt oft auch
er vom Maler hingesetzt wurde. Ein guter Strich kann nicht 'vom Papier
geblasen' werden, wie eine chinesische Formulierung lautet. Er ist im
Papier, wirkt manchmal sogar wie hineingeritzt (dies nicht von ungefähr,
denn der Maler stellt sich zum Beispiel vor, mit dem Pinsel 'drei Zoll
in den Tisch hineinzuschneiden'). Oder der Strich sieht aus wie mit einem
Stück Holz in den Sand geschrieben'. Der einzelne Strich kann einem
Nagel, einem Rattenschwanz, einer chinesischen Haarnadel, einem Knochen,
dem Gang des Holzkäfers gleichen.
Maltechnisch bieten sich Gegensätze an, wie schnelle Striche - langsame
Striche, feuchte Tusche - trockene Tusche, Ruhe - Bewegung, auflösen
- zusammenfassen, dicht - lose, um nur einige zu nennen. Oder mit einem
besonders weichen Pinsel (lange Spitze, Lamm) Striche zu erzeugen, die
den Eindruck erwecken, als seien sie mit einem harten Pinsel (Dachs, Wolf)
gemalt worden. Aber auch im ästhetischen Bereich steht diese Möglichkeit,
Gegensätze in Beziehung zu bringen, zur Verfügung. Schön
- häßlich, hart - weich, kantig - rund, fein - grob, ekstatisch
- asketisch, emotionelles Engagement - emotioneller Abstand also Eigenschaften,
die wir aus westlicher Sicht oft eher als Gegensätze verstehen denn
als Begriffe, die einander bedingen und in dem 'einander harmonisch Bedingen'
Bedeutung erzeugen.
Gegensätze finden auch im Inhaltlichen Ausdruck: Auf Landschaftsbildern
sieht man von der höchsten Bergspitze (der Berg ist männlich,
der ihn umgebende Nebel weiblich) bis ins tiefste Tal. Und wenn dort zwei
Bäume stehen, ist der eine der 'Gastgeberbaum' und der andere der
'Gastbaum'; dieser steht in vornehmer Zurückhaltung, jener scheint
auf ihn zuzugehen, scheint ihn zu umarmen.
Meditative Techniken schaffen Möglichkeiten, einen Punkt zu einem
Ereignis werden zu lassen. Der Maler hält den Pinsel mit beiden Händen
ausgestreckt vor sich. Er stellt sich vor, auf einem Berg zu stehen und
einen Stein (seinen Pinsel) hinunter zu werfen. Zugleich drückt eine
Hand nach oben, eine nach unten, eine nach links, eine nach rechts, eine
zieht nach vor, eine nach hinten. Sein 'qi' läßt er aus seinem
Bauch durch das Herz in den Pinsel wandern. Die Spitze setzt auf dem Papier
auf und ein Punkt ist erzeugt worden, beseelt durch natürliche Gegensätze.
Es ist schon eine privilegierte Form von Kunst, bei der man über
einen Punkt Aufsätze, und über einen Strich Bücher schreiben
kann.
Friedrich Zettl
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