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LEITMAL
Einige Worte, um an das Thema der Ausstellung heranzuführen.
In meiner Bildnerei der letzten sechs Jahre arbeite ich ausschliesslich
mit in unserer Zivilisation vorgefundenen, vom Menschen hervorgebrachten
Elementen ornamentaler Gestaltung. Begonnen hat das mit der Sichtbarmachung
der archaischen Qualität von Reifenmusterspuren im Thermoplastik
von Zebrastreifen, und wurde fortgesetzt mit der Entdeckung gleichsam
moderner Stammesmuster in der Struktur von Schachtabdeckungen. Es folgten
die Beschäftigung mit der primitiven Kraft von gespachtelten Kleberspuren
unter Fussbodenbelägen, das Hervorheben atavistischer Qualitäten
von Fragmenten textiler Muster und die Arbeit mit Elementen von alten
Buchdeckenprägeteilen.
Als Titel der hier versammelten Werkgruppe habe ich den Begriff "Leitmal"
gewählt. In unserer rezenten Zivilisation bezeichnet der Begriff
die aus dem Strassenverkehr bekannten Richtungsschilder. Losgelöst
von ihrer nützlichen Verwendung und Bedeutung betrachtet, erweisen
sie sich als archaische Musterbausteine, wie sie der Mensch seit Urzeiten
hervorbringt; wobei ich glaube, dass die Hervorbringung einfacher Musterbausteine
wie die der offenen Formen von Streifen, Pfeil, Zickzack oder Wellenlinie
und die von geschlossenen Formen wie Dreieck, Kreis, Quadrat oder Raute
eine dem Menschen genetisch eigene Fähigkeit ist, ähnlich wie
zum Beispiel Webervögel die Fähigkeit zur Hervorbringung der
zum Teil im Schuss- und Kette-Prinzip gewirkten Nester eingeboren haben.
Es wäre ja sonst undenkbar, dass gleiche Gestaltungen in der Tätowierung
von brasilianischen Ureinwohnern, in der Bearbeitung einer mitteleuropäischen
paläolithischen Stele, eines Schildes aus Neuguinea, einer Webarbeit
aus Zentralafrika oder einem Schnitzwerk der Eskimos - die Beispiele lassen
sich beliebig fortsetzen - zu beobachten sind.
Diese Ausstellung möchte ich mit einem Raum vergleichen, in dem das
Echo alter Formen widerhallt, von denen die meisten so vertraut sind,
dass man in der uns umgebenden Zivilisation deren primordialen Ursprung
kaum wahrnimmt. Das Leitmal wird also in diesem Kunstzusammenhang ein
Zeichen für die bildnerische Potenz des Menschen selbst. Und alle
hier versammelten Werke sind bildnerische Erkundungen geometrischer Eigenschaften
der Spezies Mensch, wie sie transkulturell seit Jahrtausenden global im
Spannungsfeld zwischen Dekor und Bedeutungsträger zu beobachten sind.
Der Betrachter, der sich von dieser im Kunstraum vorgebrachten Bildsprache
betreffen, lässt, spürt nichts anderes als die dem Hervorbringer
artverwandte eigene Fähigkeit zur Bildsprache.
Christoph Feichtinger
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