Pressetext zu Baklava und Laufender Hund

 

"Die gemusterte Gestaltung der in völkerkundlichen
Museen ausgestellten Artefakte hat seit jeher eine
besondere Anziehungskraft auf mich ausgeübt. Eine
Erklärung für diese unwiderstehliche Faszination
könnte darin bestehen, dass dem Menschen ein
Bereitschaftssystem zur Hervorbringung einfacher
Formen und deren Musterung genetisch eigen ist und
er sich folglich bei der Betrachtung dieser in seiner archetypischen
Fähigkeit wie in einem Spiegel wieder erkennt. In diesem Sinne sind
die hier versammelten Werke zeichnerische Erkundigungen zu einem
Thema, welches die Menschheitsgeschichte seit ihren Anfängen
begleitet."


Ch. Feichtinger

 

Baklava und Laufender Hund


Einige Worte zur Entstehung der geometrischen Exercitien dieser Ausstellung, die aus zwei sich ergänzenden Werkgruppen zusammengesetzt ist: einerseits den Unikatdrucken von gemusterten Eisenplatten in den Vorräumen und andererseits den freien Zeichnungen, zum Thema Grundformen und Musterung im großen Saal.
Vor etwa einem Jahr wurde ich von den Doktores Fürthauer eingeladen, in deren Galerie eine photographische Arbeit zu zeigen, die Spurenmuster von Reifenprofilen im Thermoplastik von Frankfurts Zebrastreifen zum Inhalt hatte. Damals wußte ich noch nicht, daß damit eine Zündschnur für weitere Erlebnisse und Ergebnisse zum Thema Grundformen und Musterung gelegt war.
Wenig später, im April 93, habe ich mich in N. Y., in einer Trottoirnische in der Nähe der Brooklyn Bridge zu einer Mittagsrast in die Sonne gesetzt und bin dabei eingeschlafen. Erwachend ist mein Blick auf eine rhombisch strukturierte Eisenabdeckplatte gefallen; ich spürte dabei dieselbe Betroffenheit von Fülle und Kraft wie angesichts der Pneuprints in Frankfurt. Spontan entschlossen, diese ready made Strukturen durch abdrucken aus ihrer Umgebung zu isolieren, um sie dadurch umso erlebbarer zu machen, kaufte ich traumwandlerisch entzündet innerhalb von zwanzig Minuten aus vier Stockwerken von Pearl Paint Charbonnel-Druckerschwärze, Walze, Reibebein und handgeschöpftes, 30-grammiges KITAKATA-Papier, um mich so gerüstet auf die Pirsch nach weiteren gemusterten Eisenabdeckplatten zu machen. Als Revier habe ich SOHO gewählt, jenen Stadtteil New Yorks, der sich zwischen Housten- und Canalstreet erstreckt, dessen Gebäude Ende des vorigen Jahrhunderts gänzlich aus Gußeisen gefertigt wurden,- von der Korinthischen Eingahgssäule Über die klassiz istisch gestaltete Fensterfront, bis zu den üppigsten Architravphantasien: alles cast iron! In diesem Ambiente wurde ich naturgemäß besonders fündig und arbeitete vierzehn Tage wie ein straßenwaschender Jude den Trottoirs entlang, Passanten bei Bedarf um eine helfende Hand bittend. Ein kleiner Teil des Ergebnisses dieser Arbeit wird hier in den Vorräumen vorgestellt, einen anderen Teil zeigt derzeit die New Yorker Galerie Arts du Monde..
Es ist mir ein Anliegen anzumerken, daß ich mit diesen Blättern erneut die transkulturelle Anwendung von geometrischen Grundelementen zu gemusterter Gestaltung aufgegriffen habe, im Sinne von primitiver Kunst in der Zivilisation der ersten Welt. Ich verstehe das so, daß dem Mensch die Fähigkeit eingeprägt ist, einfache Formen hervorzubringen, und daß infolgedessen der Betrachter, in einem losgelassenen Zustand, sich in dieser Fähigkeit betroffen fühlt, weil er einen Teil seiner Anlagen wiedererkennt,- er gewissermaßen in einer gegebenen Struktur einer Uranlage seiner selbst begegnet. C.G.Jung hat das so ausgedrückt, daß ein emotionelles Bereitschaftssystem, nämlich der Archetyp, in uns angesprochen wird und daher dieses Gefühl der Faszination entsteht. In der Tat beobachtet man ja zu allen Zeiten in allen Kulturen eine gemeinsame Teilmenge von Grundstrukturen ohne daß dabei an Musterverschleppung gedacht werden kann. Rechtecke, Rauten, Zick-Zackbänder, Wellenlinien, Kreise, Kreuze, Pfeile und dergleichen mehr, sind autochthon an den verschiedensten Plätzen der Erde entstanden; zum Beispiel zeigt eine anthropomorphe Stele aus dem Chalcolithikum in Südfrankreich dieselbe Ornamentierung wie eine jahrtausendalte Tonscherbe aus China oder ein rezentes Shoowatextil aus Zentralafrika.
Diesen transkulturellen Formkonstanten habe ich, wieder zu Hause, im Atelier im Mühlraingut mit Graphit und Ölstift auf Papier nachgespürt, um die Tiefenwirkung einfacher Zeichen bildnerisch in dieser Weise zu untersuchen. Mich im Spannungsfeld zwischen den formalen Orthodoxien des gestischen Expressionismus und des rationalen Minimalismus bewegend, erlebte ich in wenigen geglückten Augenblicken die hungrige Leere des Blattes mit dem kräftigen Kern von Urformen gestillt. Dabei ist es merkwürdig zu denken, daß auf Grund der psychobiologischen Verankerung einfacher Formen im Menschen, der Gegenstand dieser Arbeiten vor tausenden von Jahren ebenso aktuell war, wie er es in tausenden von Jahren sein wird. Und merkwürdig ist auch das Gefühl, daß, trotz bildlicher Abwesenheit, in diesen Zeichen der Mensch bisweilen stärker spürbar ist als in manch seiner Portraits.
Im Zuge der Auseinandersetzung mit Musterbausteinen und Musterung stieß ich natürlich auch auf das formale Vokabular türkischer Kilims, welchem schließlich der Titel dieser Werkversammlung im Saal entspringt: "BAKLAVA" ist die Bezeichnung des getreppten Musters, und "laufender Hund" die Bezeichnung eines Bordürendesigns. So öin ich also bei der Überschrift angelangt, wo meine Einführung endet und die Ausstellung beginnt.