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Zur Vernissage
der Installation "Begrenztheit"
Christoph Feichtinger
Einführende Worte sollen diese Installation nicht auf einen erzählbaren
Inhalt reduzieren und sie dieserart gebrauchsfertig zähmen; auch
soll nicht der Eindruck einer Hermeneutik von Kunst entstehen; indem ich
die Entstehungsumstände dieser Arbeit schildere, will ich lediglich
heranführen an den Punkt, an dem die Ausstellung beginnt.
Es ist diese Versammlung von Objekten und Fotos das Ergebnis eines Erlebnisses,
das ich in diesem Sommer in Island hatte. Nahe dem Polarkreis in unbesiedelter
Gegend wandernd, bin ich unvermutet auf eine vor etwa vierzig Jahren aufgelassene,
heringsverarbeitende Fabrik gestoßen. Beim Betreten der ehemaligen
Büroräume, im Anblick der durch Wind und Wetter verstreut modernden
Buchhaltung, ist schlagartig eine starke Empfindung für das Künstliche
der Anbindung von Wirklichkeit an Zahlen entstanden.
In einer so nördlichen Gegend, in der mittsommers dauernd Helligkeit
herrscht und der sogenannte Tag durch Regen oft trüber ist als die
Nacht, liest sich sogar eine Datumseintragung als besonders kontrastierend
zur erlebten Kontinuität, als willkürliche Begrenzung und Einteilung
fließender Veränderung.
Die verrottenden Aufzeichnungen längst nicht mehr existenter Wirtschaftswerte
waren ein desto deutlicheres Bild für die Tatsache, dass wirkliche
Gegebenheit einer messbaren Erfassung widersteht.
So machte mich der einfache Anblick stockfleckiger, schimmelbesetzter,
zerfallender Rechnungsbücher aufmerksam für die Qualität
des Analogen - und andächtig für das Unbeschreibliche, etwa
des Duftes von arktischem Thymian oder des Geschreis der Möwen. Begrenztheit,
das ist die Beschreibung der Wogen des Meeres als Phänomen von Wasser,
Wind und Gravitation in Ausdrücken aus 0 und 1.
8. Oktober 1993
Entrückung
macht sichtbar
Diese Installation ist eine Ausbreitung dessen, was natürliche Anschauung
mich nahe dem Polarkreis in Island wahrnehmen ließ, und stellt den
Versuch dar, die Möglichkeit des Wiedererkennens dauerhaft zu machen.
Sie ist eine phänomenologische Botschaft, bestimmt vom Augenblick
der Kraft meines Empfindens, die ich wörtlich zwar nicht übersetzen
kann, an die aber in einigen Sätzen herangeführt werden soll.
Drei Dinge, an denen das Erlebnis kristallisierte, werden vorgestellt:
ein totes Schaf, ein Zaun durch die Wüste und eine verrottende Buchhaltung
einer anfang fünfzig stillgelegten heringverarbeitenden Fabrik. Sie
alle deuten auf Begrenzung und Begrenztheit. Da ist das Bild des den Landschaftsraum
künstlich teilenden Zaunes, und da sind die modernden Rechnungsbücher,
deren einst durch Datum und Zahl festgelegte Wirtschaftswerte längst
nicht mehr bestehen.
Dem beigeordnet ist eine organische Entsprechung in Form des dem Madenfraß
preisgegebenen Schafs. Diese drei Dinge, in der Weite unberührter
Natur isoliert wahrgenommen, verdichteten in mir die Erinnerung an mitteleuropäische
Alltagswirklichkeit: zum Beispiel den unbedingten Glauben daran, daß
heute der achte Oktober ist, und die mit diesem künstlichen Datum
manipulierte Frist; die allem und jedem in unserem arbeitsteiligen Termitendasein
zugeteilten künstlichen Zahlen; die quantifizierte und bezifferte
Ordnung, die keine Ubergänge zuläßt: frisch oder abgelaufen
für alle Lebensbereiche, erkennbar an Zahlen.
Derart entstand die drückende Vision, daß lebendige Veränderung
ausgezählt wird und das Malerische des Daseins ausgegrenzt. Es gibt
keine Ubergänge, statt sfumato nur schwarz oder weiß. In diesem
Sinne stellt diese Installation eine Anstrengung dar, Empfinden gegen
Eingeteiltes zu schüren. Der Begriff 'Begrenztheit' steht dabei als
Schürzband aller Differenzierungen, die den Anschein erwecken, es
gibt nichts zwischen null und eins.
Ch.
Feichtinger
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